Jo`burg, 21. – 24.12.07: die Gegenwelten von Soweto und Melville

Klar, wer nach neun Monaten Zambia in „South“, also Südafrika, landet, muss sich wie außerhalb Afrikas vorkommen. So verwestlicht, vermodernisiert begegnet einem das Land, dass man sich eher in Amerika wähnt. Führen da nicht viel zu viele deutsche Automarken: Dieses Aufkommen an VWs, Mercedes, BMWs, Opels hat keine deutsche Stadt (dt. Autohersteller flankierten bis in die 90er das Apartheidsregime bereitwilligst durch ihre Standorte in SA).
Zu Weihnachten ist Jo´burg zwar ziemlich ruhig, denn wer kann, urlaubt im Süden. Dennoch brodelt abends der Prenzlauer Berg von Johannesburg, nämlich Melville, und in den Warenhäusern der City kaufen die Leut, was die Auslagen nur so hergeben – sonntags inkludiert, von früh bis spät. Muss an einer Art Jahresendzeitstimmung liegen.
Aber nicht nur Shopping lässt sich genießen, kulturell fasziniert die Wirtschaftsmetropole durch ihren Reichtum an Diskursen, Kunstgenres (fusions in jeder Hinsicht), Subkulturen, Leidenschaft. Die Passion, mit der Einheimische von ihrem Soweto erzählen; zum Staunen bringen ob seines Wandels; die Aufregung ob des Führungswechsels bei der ANC (Jacob Zuma löste Thabo Mbeki ab); der Stolz ob des Aufschwungs und aller Vorbereitung auf 2010 – die Fußballweltmeisterschaft, erstmals dann in Afrika!
Angesichts des durchgängigen Wandels im Stadtbild überrascht Soweto ausgesprochen positiv: Die berühmte Township erfährt einen großartigen Aufbruch. Die Kriminalität sinkt, Jobs nehmen zu, entsprechend gut die Stimmung in den schwarzen communities und Nachbarschaften. Unser Tour-Führer lacht nur über die Angst und Vorurteile der Touristen und sagt, seine Township sei mittlerweile sicherer als die meisten anderen Teile Johannesburgs. Tatsächlich wirkt Soweto friedlich, Neubauprojekte dominieren das Bild. Und dennoch pflegen die Einwohner ihren Befreiungskampf-Mythos, lieben die Besonderheit dieser Gegenwelt, wie es auf ihre Weise etwa auch die überwiegend weißen Bewohner Melvilles in ihrem Szenestadtteil tun – obschon die Dimensionen natürlich sehr unterschiedlich sind.

Gleichviel, ob in Jo´burg oder später Cape Town, begegnen uns (weiße) Kulturschaffende oder Medienmenschen – speziell aus der Filmbranche – sprühend vor Zuversicht, was ihre wirtschaftlichen Aussichten angeht. Für ein Urteil hierüber müsste man jedoch länger bleiben als bloß ein paar Tage.

Vor einem der Buchläden Melvilles unterhalten sich zwei Intellektuelle über ihre Lieblingsneuerscheinungen; bei „DVD-Guru“, einer Videoverleihgruppe europäischer Güte haben sie praktisch alle einschlägigen Off-Produktionen der letzten Jahrzehnte; in der „Berlin Bar“ spielt ein japanisch-südafrikanisches Duo „Electro“; an jeder zweiten Ecke verkauft jemand Kunstgewerke oder echt Künstlerisches; ein knallbunter Exzentriker tanzt von Kneipe zu Kneipe über seine Straßen-Bühne, während drei Schwule am Nachbartisch die Hosen auszuziehen beginnen (wobei sich die Gay-Szene zum Jahreswechsel vor allem in Cape Town trifft). Aber leicht abwärts, wenige Häuser weiter in der Siebten Straße finden sich ruhigere, gediegene Feinschmeckerlokale, teils mit einfallsreichen, „transkontinentalen“ Speisekreationen.

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